erschienen im Waidorama 03

Museum macht Schule

Jeden Dienstagmorgen tauschen die vierten Klassen des Schulhauses Waidhalde den Ausstellungssaal gegen das Klassenzimmer. Das Ziel hinter dem Projekt «Schule im Museum»: Lernorte neu denken, Eigenständigkeit und Kreativität fördern. Die Zusammenarbeit mit dem Zürcher Musée Visionnaire geht inzwischen ins fünfte Jahr.

Bilder über Bilder leuchten von den Wänden im grossen Ausstellungssaal des Musée Visionnaire im Zürcher Niederdorf. Manche sind nur ein paar Zentimeter gross, andere nehmen riesig und schwer ganze Wände ein. Dazwischen bahnen sich lange schmale Dampfschiffe aus Metall ihren Weg durch die Ausstellung, wer genau hinsieht, entdeckt hier und da kleine Farbspritzer auf dem Boden. Blau, rot, gelb, grün, lila. Wo gerade eine Führung in die Bildwelten von Richard Kohli, Fred E. Knecht und Friedrich Kuhn eintaucht, hatten sich einige Tage zuvor rund zwanzig Kinder auf dem Museumsboden breit gemacht, vor ihnen riesige Papierbögen, Farbtuben, Marker und Klebstifte; konzentriert wandern die Blicke zwischen den Bildern an den Wänden und den Neukreationen auf dem Boden hin- und her, hier ein Pinselstrich, da eine Muschel, die mit Glitzerstaub verziert wird, Stofffetzen werden zurechtgeschnitten, Postkarten und Bücher aus dem Museumsshop zur Inspiration hinzugeholt, Ideen und Techniken diskutiert. Dass der ein oder andere Farbklecks auf dem Boden landet: unvermeidlich.

Seit inzwischen fünf Jahren tauschen die vierten Klassen des Schulhauses Waidhalde jeden Dienstagmorgen das Klassenzimmer gegen den Ausstellungsraum. «Es geht darum, das System Schule anders zu denken, einen ausserschulischen Lernraum zu schaffen», erklärt Manuela Hitz, die als künstlerische Leitung im Musée Visionnaire auch die Vermittlung verantwortet. Im Herbst 2018 hatte sie das Projekt Schule im Museum gemeinsam mit Primarlehrerin Christina Studer ins Leben gerufen. «Einen Ausflug ins Museum – das macht jede Klasse einmal. Aber was bleibt davon wirklich? Deswegen wollten wir den Unterricht der vierten Klassen ganz ins Museum verlegen.» In der Pilotphase nahm eine Klasse am Projekt teil, inzwischen ist der Schulunterricht im Museum auch auf andere Klassen und Stufen ausgeweitet. Ein Semester lang tauchen die Schüler*innen in die Ausstellung ein, machen sie sich zu eigen, lernen die Kunstschaffenden hinter den Werken kennen, dürfen sich selbst als Künstler*innen und Kurator*innen ausprobieren oder schlüpfen in die Vermittlerrolle und bringen die Ausstellung ihren Mitschüler*innen näher.

Es sind Kunstschaffende, die häufig übersehen werden, die durch die Raster der etablierten Kunstkategorien fallen, denen das Musée Visionnaire eine Plattform bietet. Ihren Werken Raum und Relevanz zu geben, den Dialog für ein breiteres Kunstverständnis zu öffnen, das niemanden ausschliesst – diese Herangehensweise steht bei der Konzeption der Ausstellungen im Vordergrund. Und nicht nur da. Auch beim Projekt Schule im Museum wird das Out-of-the-box-Denken gestärkt und der Blick über den Tellerrand geschärft. Ganz bewusst werden Künstler*innen, die sich ausserhalb der sogenannten Normen bewegen, in den Vordergrund gerückt. Auch Themen wie Inklusion oder Umweltschutz sind Schwerpunkte. Und selbst der abstrakteste Mathematikunterricht wird auf einmal greifbar, wenn mit Zollstock und Zirkel an den Kunstwerken Hand angelegt, ausgemessen, gerechnet und geknobelt werden darf. 

Doch nicht nur die Schüler*innen lernen andere Unterrichtsformen kennen, wie Manuela Hitz betont. «Wir wollen das Prinzip Schule nicht nur für die Schüler*innen neu denken, sondern auch für die Lehrpersonen. Auch sie durchlaufen eine Art Ausbildung, einen Prozess. Sie können ausprobieren, was es bedeutet, ein ausserschulisches Projekt in Angriff zu nehmen und sich ein halbes Jahr lang mit künstlerischem, kulturellem und kreativem Denken auseinandersetzen».

Mit der Unterstützung von Schulkultur ist Schule im Museum 2023 ins fünfte Jahr gestartet – und schlägt immer höhere Wellen. Auch andere Museen in der Schweiz sind inzwischen auf den Zug aufgesprungen bauen längerfristige Projekte mit Schulen auf; im Januar 2023 durften Christina Studer und Manuela Hitz Schule im Museum an der Messe Museums Connections in Paris einem breiten Publikum aus Kulturschaffenden vorstellen. Tatsächlich ist das Projekt von Musée Visionnaire und Schulhaus Waidhalde europaweit Vorreiter auf seinem Gebiet. 

To be continued? Aber sowas von!