On oder Off? Kulturorte zwischen Drinnen und Draussen
Sie sind das Treibmittel im Kulturkuchen der Stadt: Off Spaces bringen abseits der Konventionen kreative Impulse in das Kulturleben.
Ein paar Spürnasengene, noch mehr Neugierde und vor allem offene Augen und Ohren braucht es schon, um sie inmitten all der Kunsttempel, Theater und Konzertsäle der Stadt nicht zu übersehen: die Off Spaces. Sie sind Kulturorte abseits des Mainstreams, Räume, die sich bewusst unabhängig halten wollen vom Kulturdiktat der grossen Player. 51 solcher Orte zählt der Zurich Art Space Guide, wobei immer wieder neue hinzukommen, während andere abtreten. Manche davon haben sich in verschachtelten Kellerabteilen und Hinterzimmern von Bürogebäuden versteckt, andere springen uns beim Spaziergang durch den Kreis 4 direkt ins Auge; einige sind so gross, dass die Bezeichnung Off Spaceship fast treffender wäre, dann wieder gibt es solche, die so winzig sind, dass sich gerade mal eine Handvoll Schaulustiger in ihnen versammeln kann. «Off» bedeutet nicht nur draussen, sondern vor allem anders, überraschend und unkonventionell. Kein Space gleicht dem anderen.
Eines haben sie aber alle gemeinsam, wie Petra Tomljanovic vom Kulturfolger betont, einem Raum beim Idaplatz, in dem Kunst gezeigt, aber auch gelesen, gegessen und konzertiert wird. «Off Spaces legen Wert auf Neugier, Experimentierfreude und intellektuelle Freiheit und bereichern die Kunstwelt auf eine Weise, die grössere Institutionen oft nicht können.» Dem kann Livio Baumgartner nur zustimmen. Sein Space, Die Diele, besteht aus zwei Schaufenstern und durchbricht an der Sihlhallenstrasse die Sehgewohnheiten der Passant*innen. «Ich kann mit meinem Space Leuten, die sonst nicht so auf dem Radar sind, eine Plattform bieten.» Seit 15 Jahren bespielt der gelernte Schaufensterdekorateur («das ist so mein Running-Gag») seine Kunstschaufenster im Langstrassenquartier. Damit gehört er zu den dienstältesten Off Space-Betreiber:innen der Stadt. Neben seinem Brotjob als Fotograf in der Graphischen Sammlung der ETH, hat er bereits 114 Ausstellungen über die Bühne bzw. das Trottoir gebracht, von dem aus Publikum und Passant*innen in den Kunstraum im Miniaturformat luschern können. «Eigentlich wäre ‹Out Space › die passendere Bezeichnung», scherzt Livio. «Mein Vater hat den Ort einmal aus Versehen so genannt. Aber er hat ja Recht, die Kunst erlebt man auf dem Trottoir.»
Livio mag die Bezeichnung Off Space augenzwinkernd in Frage stellen, Petra hingegen betrachtet sie weitaus kritischer. «Off impliziert ein On. Die binäre Einteilung in ‹Off Spaces › on und ‹On Spaces › kann den Eindruck vermitteln, dass die einen ernstzunehmende, etablierte Institutionen wie Museen und Galerie sind, während die anderen weniger Bedeutung haben. Das finde ich ziemlich irreführend.» Der grösste Unterschied zwischen dem On und Off liege in der Finanzierung. Während andere Kulturinstitutionen oft über Jahre subventioniert werden oder kommerziell tätig sind, müssen Orte wie Die Diele oder Kulturfolger alle paar Monate erneut bei Stiftungen anklopfen. Die Folge: Die meisten Betreiber:innen von Off Spaces arbeiten fast ehrenamtlich, monetär springt bei den wenigsten etwas heraus. «Ich mache das für die Sache», sagt Livio. «Mein schönster Lohn ist, wenn ich sehe, was die Künstler:innen aus der Carte Blanche machen, wie sie sich weiterentwickeln.» Auch Petra schätzt die Vorteile, welche die Unabhängigkeit trotz der Abhängigkeit von privaten Geldgeber:innen mit sich bringt: «Wir haben eine Freiheit, die institutionell geförderte Räume oft nicht haben. Die Finanzierung mag den Grundbetrieb sichern, aber sie bringt auch Einschränkungen mit sich – in der Programmgestaltung, Themenwahl und bei kreativen Risiken. Frei von diesen Zwängen können wir dagegen unkonventionelle Ideen erkunden.»
Ganz anders als die Diele und Kulturfolger handhaben es die Macherinnen vom Fuse, einem Concept Space, der im Sommer direkt am Helvetiaplatz eröffnet hat. Kunst und Kommerz werden hier bewusst durchmischt, dazu gibt’s Kaffee. «Wir sehen uns als Plattform für junge Künstler:innen und Designer. Wir machen ihre Kunst, ihre Artefakte und Objekte öffentlich und geben ihnen eine materielle Präsenz, einen Ort», erklärt Johanna Roth, die den Space als Treffpunkt und Kontrastort beschreibt. Der Raum will die verschiedenen Disziplinen zusammenbringen – und ja, durch den Kommerz auch ein wenig provozieren. Das Fuse ein Off Space? «Eher nicht», findet Johanna. «Wobei… vielleicht würde das Label zum Ausstellungsraum im Untergeschoss passen. Quasi als Off Space des Concept Spaces.»
Jetzt wird’s kompliziert. Oder doch nicht? Genauso wie On-Off-Beziehungen selten eine gute Idee sind, wäre es vielleicht besser, unabhängigen Kunst- und Kulturräumen keine Namen aufzudrücken, die an Lichtschalter und Beziehungsmurks erinnern. Die Diele, Kulturfolger, Fuse und all ihre Verwandten sind vor allem eines: spannende Begegnungsorte, ohne die das kulturelle Leben in Zürich ziemlich fad wäre.
Einen Überblick über die kleinen, grossartigen Kunst- und Kulturorte der Stadt gibt der Zurich Art Space Guide. http://www.artspaceguide.ch/