erschienen auf Kultur Züri
Reclaiming the female body
Für Menschen, die unter Endometriose leiden, wird die Periode zur Tortur. In einer Ausstellung in der ZW thematisiert das Kollektiv F96 die Krankheit.
Superheldinnen mit Muskelpaketen, Gebärmutterschleimhaut auf Abwegen und Botticellis Venus, die sich aus dem Staub gemacht hat – in «Endometriose. Ausstellung zur Krankheit» treffen in der Zentralwäscherei Fine Arts auf Alte Meister, vermengen sich Popkultur und Wissenschaft. Vor allem aber soll es um Aufklärung gehen, wie Marlène Pichler, eine der drei ausstellenden Künstlerinnen, betont: «Viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, was im Körper von rund der Hälfte der Menschheit abgeht. Im Gegenteil – man redet gar nicht darüber, weil es als Schwäche abgetan werden könnte.»
Erdomeriose, Enomentriose, Endometriwienochmal? Ganz ehrlich: Auch ich hatte lange Zeit Mühe damit, allein nur den Namen der Krankheit korrekt auszusprechen: Endometriose. Der etwas zungenbrecherische Begriff bezeichnet «die krankhafte Wucherung der Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutterhöhle im Beckenbereich, aber auch an verschiedenen anderen Stellen des gesamten Bauchraums». So beschreibt das USZ die Krankheit auf seiner Website. Eine Krankheit, von deren Existenz ich bis vor ein paar Jahren nicht den blassesten Schimmer hatte – die aber schon immer da war und mit der sich seit Menschengedenken menstruierende Personen herumschlagen müssen. Sechs bis zehn Prozent sind es laut Schätzungen, die unter den schmerzhaften Wucherungen leiden. «Mediziner:innen wissen, was es ist. Aber alle meine anderen Freund:innen kannten es bisher eigentlich kaum oder gar nicht», bemerkt Elsa Wuchner, die als Teil des feministischen Kollektivs F96 die Veranstaltung initiiert hat. Sie ist selbst Ärztin und kam mit ihrem ehemaligen Dozenten und Gynäkologen Dr. med. Patrick Imesch auf das Thema zu sprechen. Dieser hat sich auf die Diagnostik und Therapie der Krankheit spezialisiert und leistet in Vorträgen Aufklärungsarbeit. Ein Vortrag allein erschien Elsa allerdings zu trocken. «Es gibt viele Künstler:innen, die Endometriose haben oder sich mit dem weiblichen Körper befassen. Ich dachte, es könnte noch spannend sein, Medizin und Kunst zu kombinieren.» Die Idee zum Hybrid aus wissenschaftlichem Input und Kunstausstellung war geboren.
Vor dem Vortrag von Patrick Imesch am 28. Juni präsentiert zunächst Ethonologiestudentin Lynn Kohli das Abschlussprojekt ihres Studiums, den Kurzfilm «Endometriose: chronisch unsichtbar», in dem junge Männer die Erfahrungen von Endometriose-Patientinnen vortragen – so, als wären es ihre eigenen Geschichten. Grund für die verkehrte Welt: Noch immer werden Endometriose-Betroffene von Ärzt:innen und Umfeld häufig nicht ernst genommen, Symptome auf die Psyche geschoben. «Das hat oft eine Verzögerung der Diagnose zur Folge», wie Lynn Kohli bemerkt. Auch die Forschung steckt noch immer in den Anfängen, laut Kohli werden kaum Forschungsgelder gesprochen. «Um die aktuelle Situation zu kritisieren, habe ich beschlossen, das als Männerkrankheit zu inszenieren. Denn wenn Endometriose das wirklich wäre, sähe die Situation bestimmt anders aus.» Genderbasierte Diskriminierung und Misogynie sind weitere Begriffe, die im Gespräch über das Projekt fallen – und an die Marlène Pichler und Amanda del Valle mit ihren Arbeiten anknüpfen, wenn auch in subtilerer Form. Auch bei ihnen geht es um Körper, Weiblichkeit und die Frage, welche Erwartungen, Reaktionen, Gefühle mit der Darstellung und Betrachtung von dem, was gemäss gesellschaftlichen Konventionen als weiblich gilt, einhergehen. Amanda del Valles Zeichnungen rufen Erinnerungen an die Manga-Welten von Sailor Moon und Mila Superstar wach – und irritieren zugleich durch die Muskelberge, mit denen die Superheldinnen bepackt sind. Was macht es mit den Betrachtenden, wenn Männlichkeit und Weiblichkeit verschwimmen, wenn Sehgewohnheiten auf den Kopf gestellt werden? Auch Marlène Pichler spielt mit Erwartungshaltungen. In einer begehbaren Rauminstallation zeigt sie eine digitale Neuinterpretation des Gemäldes «Die Geburt der Venus» von Sandro Botticelli. «Die Venus in meinem Bildraum ist aber längst weitergezogen, weil sie keine Lust mehr hatte, als Projektionsfläche den ganzen Tag in der Muschel zu stehen». Stattdessen sollen die Besuchenden den Platz der Schaumgeborenen einnehmen und Teil des Bildes werden.
Genau das ist es, worum es in der fünftägigen Ausstellung in der Zentralwäscherei gehen soll: andere Rollen einzunehmen, die Perspektive zu wechseln, sich in Unbekanntes hineinzufühlen – und vor allem Bewusstsein zu schaffen für eine Krankheit, der noch immer zu wenig Beachtung geschenkt wird.